kunstvollaltern und lebenskunstvollsterben

unterstützt Höhen und Tiefen kunstvollen Alterns mit Fantasie, Fotografie, Poesie, Clownerie

Der Graben voller Fragen



Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
….. („Stufen“, Hesse)


mit diesen Worten möchte ich Euch danken für Eure Aufmerksamkeiten und die Worte, die ein Bild meiner Familie zeichneten, das ich so noch nicht kannte.


Das Sterben meiner Mutter begleiten zu dürfen, ließ mich Fenster und einige Türen unseres gemeinsamen „Familienschlosses“ öffnen, lieber Klaus. Schloss scheint
mir die richtige Metapher, denn in unserer gemeinsamen Familie ist für mich zu vieles fest verschlossen.
Mit Fotos und Erzählungen kommen die Erinnerungen :
Der kleine Klaus mit dem brennenden Flugzeug ( ich weiß, Du schweigst dazu)
Unsere gemeinsame, schüchterne Suche nach Sexualität ( ich weiß, Du willst es nicht hören)
Unser gemeinsames Ringen um Standpunkte all die Jahre, wir sind daran gewachsen oder auch nicht.

Irgendwann bin ich dann von diesen familiären, konservativ ausgetretenen Denk – und Fühl -
Strukturen abgewichen. Diesen Weg offen zu machen, hätte den Bruch mit Dir, Susanne, meiner Mutter, meiner Familie bedeutet.
Sollte vielleicht der Riss in unserem Verständnis voneinander, seine Ursache in meinem Schweigen
haben, oder ist mir nicht zugehört worden bei meinen schüchternen, fast sprachlosen Versuchen, mich zu erklären oder hat vielleicht jeder sich nur in seine eigenen Sorgen verstrickt?
Aber das alles ist Vergangenheit, nur aus dem schmerzenden Riss ist mit der Zeit ein Graben geworden. Wir alle versäumen ständig, uns ehrlich zu begegnen, wir beladen uns mit Vorurteilen und Abwertungen und merken es nicht einmal.
Liebe Susanne, für mich bist Du ein weißer, unberührter Fleck auf meiner Lebenslandkarte. Nie habe ich ein Zipfelchen Deiner Persönlichkeit sehen dürfen. Es gab Zeiten, da hätte ich mich gerne an Deine ruhige, sanfte Art für ein Weilchen angelehnt.
Klaus, auf Deine Frage, wie lange ich für die Abschiedsrede für meine Mutter gebraucht habe, antworte ich so :

68 Jahre, xx Monate, x Tage.....hat die Rede gebraucht, um sich schreiben zu können.

Das ist nicht verständlich? Siehst Du, dass ist der Graben, der gefüllt ist mit nichtgestellten Fragen,
mit mangelnder Breitschaft für eine Weile „in den Mokassin des/der Anderen“ zu gehen und immer schon Antworten zu haben, bevor die Frage überhaupt auftaucht, verarbeitet und in Gänze gestellt sein will.

Ihr könnt meinen Gedichten und vielleicht auch diesen Zeilen nicht folgen?
Ist es an mir, in Eure Hutschachtel des Lebens zu steigen?
Ist es an Euch, sich für mich zu interessieren, für das, was mich ausmacht?

Wer weiß?

Klaus, ich hab Dich auf meine Weise lieb und Deine Augen voller Zynismus,Verzweiflung und Angst tun mir weh.
Das stimmt alles so nicht? Siehst Du, das ist der Graben.

Mit herzlichem Gruß
Eure, ganz besonders Deine

Hanna